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Unser Leben

Die Kraft der Stille

16.10.2025
6 Minuten

Manchmal ist es ganz schön schwer, sich dem Lärm der Welt zu entziehen. Doch wer die Ruhe sucht, gewinnt etwas Wertvolles: innere Stärke und Klarheit.

mauritius_images/Christian Bäck

Zusammenfassung

Horst Lichter wollte einfach nur Ruhe – und fand sie an einem Ort, an dem es erst laut wurde: in seinem Kopf. In einem Kloster begann seine Suche nach der Stille, die ihn lehrte, innezuhalten und loszulassen. Auch Pater Anselm Grün und Psychologin Dr. Britta Hölzel zeigen, warum Schweigen heilsamer ist, als wir denken.

Die Suche nach der Stille

Nach anstrengenden Dreharbeiten entschied Horst Lichter vor einigen Jahren: Ich bin dann mal still. Der Fernsehkoch und Moderator, selten um ein Wort verlegen, machte sich auf die Suche nach der Ruhe. Allerdings hatte sich der 63-Jährige die Sache leichter vorgestellt. Auf seiner Reise in die Stille, die in einem Kloster begann, wurde es erst einmal richtig laut – in seinem Kopf. Dabei hatte er sich seine Auszeit so wunderbar ausgemalt: raus aus dem Hamsterrad des Alltags, mit den Mönchen beten, im Klostergarten arbeiten, ein Mittagsschläfchen machen und nach ein paar Tagen den Sinn des Lebens finden.

Dass es ein wenig anders kam, erzählt Horst Lichter in seinem Buch „Ich bin dann mal still“ (Verlag Knaur). So viel sei an dieser Stelle verraten: Der Moderator fand zwar doch noch zur ersehnten Ruhe, aber anders als gedacht. Und er hat dabei gelernt, sie zu schätzen:

„In der Stille entspannt die Seele. Stille und innere Ruhe empfinde ich, wenn ich glücklich bin. Wenn ich in Harmonie mit den Menschen, Tieren und der Natur leben kann.“

Warum Stille Mut braucht

Der Duden beschreibt die Stille als wohltuenden Zustand des Ruhigseins, der durch kein lärmendes Geräusch mehr gestört ist. Es ist kein Zufall, dass die Stille mit dem Wort stellen oder stehen bleiben verwandt ist – denn es geht darum, einmal innezuhalten und Pause zu machen. Dazu braucht man auch Mut, weiß Pater Anselm Grün, weil man sich in der Stille selbst aushalten muss. „Solange wir in Bewegung sind, können wir auch vor uns selbst davonlaufen“, so der Benediktinerpater. „Still werden heißt: stehen bleiben, um uns dem zu stellen, was in uns auftaucht.

Das verlangt Stehvermögen. Denn wir leben in einer lauten Welt, in der es an jeder Ecke Ablenkung gibt und es gar nicht so leicht ist, sich dem Lärm zu entziehen. Das Handy klingelt, im Supermarkt dudelt Musik, der Straßenverkehr braust, die Baustelle macht Krach. Oftmals sind es auch die Stimmen in unserem Kopf, die uns einflüstern, was noch alles zu erledigen ist – und gegen die auch Ohrstöpsel oder Kopfhörer nicht helfen.

Die heilende Kraft der Ruhe

Umso wichtiger ist es deshalb, regelmäßig die Pausentaste zu drücken und für Zeiten der Ruhe zu sorgen. „Die Stille erlaubt uns, endlich einmal durchzuatmen und aus dem Hamsterrad herauszukommen“, sagt Arndt Büssing, Arzt und Professor für Lebensqualität, Spiritualität und Coping (Bewältigung) an der Universität Witten/Herdecke. „Dann öffnen sich unsere Augen und unser Herz, wir können klarer sehen.“

Wie uns die Stille dabei hilft, Klarheit zu finden, davon erzählt auch die Geschichte vom Wanderer, der zu einer Einsiedelei kommt und einen Mönch um etwas Wasser bittet. Zusammen gehen die beiden Männer zum Brunnen, wo der Wanderer den Mönch fragt, welchen Sinn dieser in seinem Leben in Stille sehe. Der Mönch zeigt auf das bewegte Wasser im Brunnen und sagt: „Schau auf das Wasser! Was siehst du?“ – „Nichts“, antwortet der Wanderer. Nach einer Weile fordert der Mönch den Wanderer abermals auf, aufs Wasser zu schauen, das sich beruhigt hat. „Und was siehst du jetzt?“ Der Wanderer antwortet: „Jetzt sehe ich mich selbst.“ – „Das ist die Erfahrung der Stille: Man sieht und erkennt sich selbst“, erklärt ihm daraufhin der Mönch.

Es ist sicher kein Zufall, dass in allen Weltreligionen die Stille eine bedeutende Rolle spielt, denn sie verhilft Menschen zur Selbsterkenntnis. Wenn wir schweigen, allein oder in Anwesenheit anderer, können wir umso besser unsere eigene innere Stimme hören. Wie gut solche Ruhe tut, konnte Prof. Arndt Büssing auch in einer Studie während der Corona-Pandemie nachweisen: Er zeigte auf, dass selbst gewählte Zeiten der Ruhe in der Natur den Menschen halfen, besser mit den Einschränkungen der Krise klarzukommen.

Wenn das Gehirn abschalten darf

Entscheidend ist dabei vor allem die innere Stille, denn die äußere allein kann uns noch nicht zur Ruhe bringen, wie Dr. Britta Hölzel aus München betont. Sie ist Neurowissenschaftlerin, Psychologin und Achtsamkeitstrainerin. „In der Stille finden wir wieder zu unserer Kraft. Erst dann kann sich Erholung wirklich einstellen“, sagt sie.

Das lässt sich auch mit den Vorgängen in unserem Gehirn erklären: Wenn wir gerade im Stress sind, ist in unserem Körper der Kampf- oder Fluchtmodus aktiviert. Die Amygdala, sozusagen die Alarmanlage unseres Gehirns, arbeitet dann auf Hochtouren – wir haben eine Art Tunnelblick. Werden wir hingegen ruhig, ist der präfrontale Kortex in der Hirnrinde aktiv, der für die Regulierung unserer Gefühle zuständig ist. Unsere Perspektiven weiten sich wieder, wir sind klarer und kreativer. „Die Stille hilft uns dabei, aus dem Stress herauszukommen“, erklärt Dr. Britta Hölzel.

Wege zur inneren Ruhe

Doch wie können wir in einer lauten Welt leise werden? Für die Psychologin ist ein wichtiger Weg die Meditation, zu der sie auch in Online-Kursen anleitet. Es ist aber ebenso möglich, für sich allein zu üben – etwa indem man sich bequem hinsetzt, die Augen schließt und sich auf den Atem konzentriert (siehe auch „5× zur Ruhe finden“). Wie bei den meisten Entspannungstechniken spielt das Atmen als Anker eine wichtige Rolle. Anfangs können es nur wenige Minuten sein, die sich mit ein bisschen Übung auf 15 bis 30 Minuten oder länger steigern lassen (dazu ruhig eine Uhr stellen).
Es ist übrigens ganz normal, dass die Gedanken immer wieder abschweifen. „Dass unsere Gedanken laut werden, ist unserem evolutionären Erbe geschuldet. In der Steinzeit war das überlebenswichtig, um Gefahren zu erkennen“, erläutert Dr. Britta Hölzel. Dieses Wissen hilft dabei, freundlich mit sich selbst umzugehen – und die Aufmerksamkeit immer wieder sanft, aber bestimmt auf den Atem zurückzulenken.

Neben der Meditation rät die Achtsamkeitstrainerin auch dazu, immer wieder Pausen im Alltag zu machen und nachzuspüren, wie es einem selbst gerade geht. Am besten tragen wir uns diese Auszeiten fest in den Kalender ein – dann vergessen wir auch nicht, sie uns zu nehmen. Erlaubt ist, was guttut: etwa ein Spaziergang im Park oder einfach ein paar tiefe Atemzüge, während wir durchs Fenster den Wolken beim Vorbeiziehen zuschauen.

Prof. Arndt Büssing empfiehlt, aus solchen Momenten ein Ritual zu machen. „Eine wunderbare kleine Auszeit kann es zum Beispiel sein, eine Kerze anzuzünden, das Handy auszuschalten und ganz bewusst schweigend eine Tasse Kaffee oder Tee zu genießen. Vielleicht kann man auch dabei an den Menschen denken, der den Kaffee oder Tee produziert hat.“ Nebenbei schulen wir so auch unser Gefühl des Staunens und der Dankbarkeit.

Wichtig ist, dass die Momente der Ruhe den Alltag durchbrechen und dass sie selbst gewählt sind. Denn wenn sich jemand einsam fühlt, kann sich zu viel Stille auf ihn auch belastend auswirken. Eine gute Möglichkeit sind dann zum Beispiel Meditations- oder Achtsamkeitsgruppen, bei denen man die Erfahrung der Innenschau gemeinsam mit anderen erlebt.

Letztendlich kommt es eben auf die richtige Balance zwischen Ruhe und Trubel an. Oder wie es Horst Lichter formuliert: „Die große Kunst im Leben ist es wohl, die stille Seite mit der lauten Seite in der Waage zu halten. Darauf zu achten, dass die Ruhe zu ihrem Recht kommt.“

5x zur Ruhe finden

Mit diesen kleinen Auszeiten tanken Sie neue Kraft im Alltag

Einfach mal tief durchatmen
Sie setzen sich bequem auf einen Stuhl oder den Boden, schließen die Augen und konzentrieren sich auf Ihren Atem. Sie spüren, wie der Bauch sich beim Einatmen nach außen wölbt und beim Ausatmen nach innen zieht. Immer wenn Ihnen Gedanken kommen, lassen Sie diese weiterziehen. Für diese Kurzmeditation reichen am Anfang 5 – 10 Minuten, später dürfen es gern 15 oder mehr sein.

Spaziergang der Achtsamkeit
Für alle, die sich lieber bewegen: Auch bei einem achtsamen Spaziergang im Garten, Park oder Wald kann man wunderbar Ruhe tanken. Setzen Sie dafür langsam einen Fuß vor den anderen und spüren Sie ganz bewusst, wie sich das anfühlt. Dabei atmen Sie ruhig ein und aus.

Eine Reise in die Fantasie
Für diesen Kurzurlaub brauchen Sie Ihr Zuhause nicht zu verlassen. In Gedanken versetzen Sie sich dafür an einen ruhigen Ort, der zu Ihren Lieblingsplätzen gehört – der See in den Bergen, der Strand am Atlantik, der Sternenhimmel in der Eifel. Malen Sie sich genau aus, was Sie dort sehen und hören. Je genauer Sie sich alles vorstellen, desto besser können Sie sich erholen. Nach einigen Minuten reisen Sie zurück in die Wirklichkeit.

Ein Rückzugsort für mich
„Ein Zimmer für mich“ ist ein Klassiker der Frauenliteratur und zugleich ein guter Gedanke. Vielleicht schaffen Sie sich ein Zimmer oder einen Platz in der Wohnung, der nur Ihnen gehört und an dem Sie zur Ruhe kommen. Das kann zum Beispiel ein gemütlicher Sessel oder ein Platz am Fenster sein.

Ruhe in der Natur tanken
Der Natur lauschen oder sie betrachten – das hat nachweislich beruhigende Wirkung auf uns. Nehmen Sie sich Zeit, den Wolken beim Ziehen nachzuschauen, das Prasseln des Regens oder das Rauschen der Bäume zu hören, die Vögel oder das Eichhörnchen im Garten zu beobachten.

Orte der Stille

Wer sich nach Ruhe sehnt, ist hier genau richtig

Viele Klöster bieten Häuser oder Räume der Stille an, zum Beispiel die Abtei Königsmünster im sauerländischen Meschede: www.koenigsmuenster.de. Hier kann man für einige Tage Gast sein, um sich selbst auf die Spur zu kommen – mit oder ohne Seminarprogramm. Angebote gibt es auch überkonfessionell, zum Beispiel bei Meditations- und Seminarzentren.

Einen Überblick finden Sie hier: www.1000-orte-der-stille.de.

Auch Parks und Gärten sind oft verschwiegene und ruhige Plätze, zum Beispiel der Loki-Schmidt-Garten in Hamburg, der Garten der Stille in Münster oder der Abteigarten im fränkischen Kloster Bronnbach in Wertheim. Viele öffentliche Einrichtungen bieten ebenfalls Räume der Stille an, zum Beispiel Flughäfen, Landtage, Universitäten.

Egal, ob man gläubig ist oder nicht: In Kirchen fällt es vielen Menschen leichter, zur Ruhe zu kommen – zum Beispiel auf Reisen. Gut also, wenn eine Kirchentür auch außerhalb der Gottesdienstzeiten geöffnet ist. Dafür setzen sich verschiedene regionale Initiativen zu offenen Kirchen ein.

Informationen finden Sie zum Beispiel hier: www.offene-kirchen.info