Markenlogo
Müritz
Reisen & Kultur

Müritz - das kleine Meer in Mecklenburg-Vorpommern

12.8.2025
Autorin Gaby Herzog
Gaby Herzog
9 Minuten

Dass jahrzehntelang große Teile der Müritz im DDR-Sperrgebiet lagen, ist zumindest jetzt ein großer Glücksfall: Denn so konnte sich im Süden Mecklenburg-Vorpommerns ungestört eine herrlich wilde Landschaft mit Seen, Wäldern und Mooren entwickeln. Die Gegend rund um den größten deutschen Binnensee ist ein Traumziel für Naturfreunde und Entdecker.

Nora Bibel

Geräucherte Fisch-Spezialitäten für die Besucher

Wenn die Müritzfischer im Sommer frühmorgens auf den See hinausfahren, um ihre Netze aufzustellen, müssen sie ohne Steffen Steinbeck auskommen, denn der bleibt in diesen Monaten an Land. „In der Zeit bin ich für unsere Tages-Besucher der Räucheronkel und der Geschichtenerzähler“, sagt er und lächelt in seinen langen weißen Bart. „Erst im Oktober, wenn hier weniger los ist, packe ich auf dem Wasser wieder richtig mit an.“

Steffen Steinbeck öffnet einen der beiden Metallschränke, die unter dem hölzernen Unterstand am Bolter Kanal stehen, und schaut prüfend hinein. Dichter weißer Rauch quillt ihm entgegen, sammelt sich kurz unter der Decke und zieht schließlich durch das grüne Blattwerk hinaus auf das in der Sonne glitzernde Wasser. In der schwarz verrußten Metallbox hängen fünf Saiblinge und ein Aal am Haken, während unten, in einer Stahlwanne, das Feuer flackert. „Ich warte darauf, dass sich die Bauchlappen bei den Fischen öffnen“, erklärt Steinbeck und wirft ein Scheit in die Flammen. Das ist Buche aus dem Nationalpark, dieses Holz sorgt für die meiste Hitze. Am Schluss legt er etwas Erle nach, „das gibt eine schöne Farbe. Das Auge isst ja mit.“

Während Steinbeck seine Fisch-Spezialitäten im Blick behält, lotst er ankommende Hobby-Angler an die Teiche. Er empfiehlt einer Familie die Fischbrötchen drüben im Bistro und posiert für ein Foto. Nebenbei erzählt er, im schönsten norddeutschen Dialekt, vom Wandel an der Müritz, dem größten deutschen Binnensee.

A visual representation related to the article.
„In den Sommermonaten bin ich hier der Räucheronkel und der Geschichtenerzähler“ - Steffen Steinbeck, Müritzfischer aus Leidenschaft

Zugang verboten für „Normalbürger“

Zu DDR-Zeiten waren hier kaum Touristen. Große Teile der Region waren das Jagdgebiet von Spitzenpolitikern und ein Truppenübungsplatz der Roten Armee. Für den Normalbürger war der Zutritt verboten. „Entsprechend gab es in unserer Ecke überhaupt nur wenige Hotels und Restaurants“, erinnert sich Steinbeck.

„Und der ganze feine Fisch, den wir gefangen haben, der wurde gegen Devisen ins Ausland exportiert.“ Der Vorteil dieser Abgeschiedenheit: In einer der bevölkerungsärmsten Gegenden Europas konnte sich die Natur ungestört entwickeln. Die Wälder und Seen wurden Rückzugsorte für viele bedrohte Tierarten wie Fischotter, See- und Fischadler. Seit 1990 stehen große Teile der Region unter besonderem Schutz und haben sich als einer der größten deutschen Nationalparks zum Kleinod für Naturliebhaber gemausert.

Unterwegs durch den Nationalpark mit der Rangerin

„Wir nennen die Müritz auch unser kleines Meer“, sagt Martina Fuhrmann und blinzelt in die Sonne. Als Rangerin ist sie schon seit dem frühen Morgen am See unterwegs. Auf dem Ast einer Erle entdeckt sie einen großen Vogel. „Das ist ein Schwarzspecht, den erkennt man an seinem leuchtend roten Scheitel. Wenn der Wind günstig steht, können wir ihn vielleicht gleich sogar hören.“ Wir lauschen andächtig, doch anstatt des Specht-Hämmerns ertönt plötzlich ein lang gezogener Trompetenlaut über dem Ausguck am Doppelkiefer-Graben. Zwei Kraniche landen nur wenige Meter entfernt auf einer Sandbank. „Was wollt ihr denn schon hier, es ist doch noch gar nicht Schlafenszeit?“, wundert sich Martina Fuhrmann und lächelt. „Denn am Abend bringen sich die Großvögel im seichten Wasser vor Dachsen und Füchsen in Sicherheit“, erklärt die Rangerin. „Im Herbst, wenn sie sich auf die Rückreise in ihre Winterquartiere machen, tummeln sich an der Müritz oft bis zu 10 000 Tiere.“

Als Tochter eines Fischers ist Martina Fuhrmann an der Müritz aufgewachsen. Später hat sie Forstwirtschaft gelernt und ist seit Jahren im Nationalpark im Einsatz. Ihre Aufgabe ist es, Vögel zu zählen und Brutplätze zu kontrollieren, sie misst die Pegelstände, inspiziert den Wald und die Wege. „Auf unseren 32 200 Hektar werden schon seit Jahren keine Bäume mehr gefällt“, erzählt sie. Die Natur wird sich selbst überlassen, Totholz darf deshalb liegen bleiben und wird so zum Lebensraum für Tausende Kleinstlebewesen, bevor es schließlich verrottet. „Nur wenn ein kranker Baum auf einen Weg zu fallen droht und für die Fußgänger gefährlich werden könnte, holen wir einen Traktor und reißen ihn kontrolliert um.“

An den meisten Tagen ist die Rangerin auf ihrem roten Fahrrad unterwegs. Manchmal zieht sie auch zusammen mit ihrer Hündin Fee, einer Deutsch-Drahthaar-Dame, zu Fuß durch die Natur. Während sie spricht, erspäht Martina Fuhrmann rechts und links immer wieder kleine Natur-Wunder: Mal ist da eine Ringelnatter, die im Gras raschelt, mal ein Kleiber, der senkrecht den Stamm einer Buche runterhuscht, oder ein glänzender Mistkäfer, der mit großer Mühe über Laub klettert.

A visual representation related to the article.

Besucher müssen die Schutzzonen für die Tiere respektieren

Nach einer guten Stunde unterwegs verändert sich die Landschaft zu einer freien Fläche. Hier buhlen zarte, rosafarbene Grasnelken, der blaue Natternkopf und die gelbe Königskerze um die Gunst der Insekten. Früher befand sich auf der Anhöhe das private Jagdhaus des ehemaligen DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph, ein wenig weiter lag eine Gärtnerei. „Bis zur Wende war das absolute Sperrzone“, erinnert sich Martina Fuhrmann. „Aber als die Mauer fiel, sind Tausende Neugierige hierhergeströmt, um zu sehen, wie die Staatsführung gelebt hat.“ Inzwischen wurden die Gebäude abgerissen und die Pflanzen erobern den Raum zurück. Nur die knorrigen Apfelbäume und ein Stück Teerstraße erinnern an die alte Nutzung.

Als ihr zwei ältere Damen auf dem Weg entgegenkommen, steuert Martina Fuhrmann direkt auf sie zu. Eine der beiden hat sich gerade eine Zigarette angezündet. „Entschuldigung, aber das Rauchen ist im gesamten Nationalpark strikt verboten“, erklärt ihr die Naturschützerin freundlich und ergänzt: „Wegen der Waldbrandgefahr und außerdem sind die Kippen extrem giftig. Wussten Sie, dass nur ein achtlos weggeworfener Filter-Rest schon 40 bis 60 Liter Grundwasser vergiftet?“ Wusste die Spaziergängerin nicht. Sie löscht sofort die Glut und steckt den Zigarettenstummel zurück in die Schachtel. Fuhrmann nickt. Wer Einsicht zeigt, der kommt bei ihr mit einer Verwarnung davon. „Kein Feuer, keinen Müll wegwerfen, keine Pflanzen abreißen und auf den Wegen bleiben“, zählt sie im Weitergehen die „Benimmregeln“ auf. „Gerade wenn es im Sommer auf dem Hauptweg, der rund um die Müritz führt, voller wird, dann ist es besonders wichtig, dass die Tiere garantierte Schutzzonen haben.“

Bei einer Kanufahrt unberührte Natur erleben

Auch viele Touristen sehnen sich nach Ruhe und unberührter Natur. Beides finden sie bei einer Kanufahrt über das Kanalsystem, das die Müritz mit vielen anderen kleineren Seen verbindet. An der Bolter Mühle, ganz in der Nähe von Fischer Steinbeck, befindet sich so ein Bootsverleih. Kurz taucht das Kanu durch eine Wolke aus würzigem Räucherduft, doch schon nach ein paar kräftigen Ruderschlägen gleitet das Boot über das stille Wasser in ein Feld aus Seerosen.

Ab Mitte Mai beginnen die Blumen zu blühen. Tausende weiße Blüten liegen bilderbuchschön auf der Wasseroberfläche vor dem Schilfgürtel und lassen sich vom Bug des Bootes zur Seite schieben. Immer wieder müssen sich die Kanuten ducken, um unter den tief hängenden Ästen der Weiden durchzufahren. Schließlich lichtet sich das Dickicht und öffnet sich zum Caarpsee. Mitten auf dem See steht ein anderes Kanu. Die Insassen fixieren mit ihren Ferngläsern einen Vogel, der hoch über dem Wasser schwebt. Ist es ein Seeadler? Nein, er ist etwas kleiner, seine Flügel sind eher schlank und lang – also sicher ein Fischadler.

A visual representation related to the article.
„Wer einen alten Gutshof kauft, muss schon ein bisschen verrückt sein“ - Manfred Achtenhagen, Hotelbesitzer und Gutshaus-Experte

Prächtige Gutshäuser prägen das Landschaftsbild

Auch außerhalb des Nationalparks, am südlichen Westufer, sind die seltenen Vögel zu Hause. Sie fliegen über das mittelalterliche Hafen-Städtchen Röbel mit seiner frisch renovierten Windmühle und der schönen Seepromenade. Fünf Kilometer entfernt, rund um den Ortsteil Ludorf, brüten allein vier Paare. Nach Feierabend begutachtet Manfred Achtenhagen regelmäßig die Horste. „Wir sind ja Nachbarn“, sagt er und zeigt auf den herrschaftlichen Bau aus rotem Backstein, der 800 Meter entfernt auf einer grünen Wiese thront. 1998 beschlossen er und seine damalige Frau Keril, sich hier mit der Familie niederzulassen. Sie kauften das alte, damals schwer heruntergekommene Gutshaus Ludorf und bauten es zu einem Romantik-Hotel um.

Prächtige Anwesen wie dieses prägen Mecklenburg-Vorpommern. „Im 12. Jahrhundert, nach den letzten Kreuzzügen, ließen sich Ritter an der Müritz nieder“, erklärt Manfred Achtenhagen, als er die Stufen zum Haus hochsteigt. Er gehört heute zu den wichtigsten Experten für Gutshäuser in der Region. Im 17. Jahrhundert wurden die Höfe gebaut und mit Alleen verbunden. Die Straßen existieren heute noch. „Anders als in weiten Teilen Deutschlands verpachtete der Adel sein Land nicht, sondern bewirtschaftete es selbst. Das ist einer der Gründe, warum in der Region viele Felder extrem groß sind.“ 1 500 Gutshäuser gibt es heute noch, viele davon stehen unter Denkmalschutz, weiß Manfred Achtenhagen. „Sie wurden zum Beispiel zu Reiterhöfen umgebaut oder werden zum Feiern von Hochzeiten genutzt, aber leider drohen einige dieser Gebäude zu verfallen und warten auf einen mutigen Retter.“

Dass ein altes Haus mit einer so langen Geschichte aber auch voller Überraschungen stecken kann, weiß Achtenhagen selbst nur zu gut. Während der Sanierung von Gut Ludorf fanden die Handwerker unter einer Stuckdecke im Barocksaal aufwendige Malereien mit Engeln und Nymphen, die im See baden. „Wir mussten daraufhin alle Pläne ändern und hatten große Mehrkosten. Ein bisschen verrückt sein muss man schon, wenn man sich auf so ein Abenteuer einlässt“, sagt der Gutshaus-Makler. „Aber wenn ich aus dem Fenster schaue und auf die Müritz sehe, dann bin ich dankbar, an einem der schönsten Flecken in Deutschland zu leben.“

A visual representation related to the article.

Die Müritz in Zahlen

Vor 12 000 Jahren formte die letzte Eiszeit die Mecklenburgische Seenplatte, zu der 1 117 Seen gehören. Die Müritz ist mit 117 Quadratkilometern der größte deutsche Binnensee. Am Ostufer beginnt der westliche Teil des Müritz-Nationalparks, in dem mehr als 800 Pflanzen-, 48 Säugetier-, 198 Vogel- und 14 Fischarten leben.

Tipps für Urlauber

Radfahren

Am Ufer der Müritz entlang verläuft ein rund 90 Kilometer langer Fahrradweg. Im Nationalpark ist ein 230 Kilometer langes Radwandernetz angelegt. Die Strecken sind gut ausgeschildert, die Wege manchmal sandig. Der Havelland-Radweg und der Berlin-Kopenhagen-Radweg führen durch das Gebiet.

Im Bus um die Müritz

Im Stundentakt fährt ein Linienbus um die Müritz. Kostenfrei können hier Touristen mit der Gästekarte/Kurkarte (Müritz rundum) an den Haltepunkten zusteigen und ihr Fahrrad auf einem Anhänger verstauen.

Kanufahren

Rund um die Seen gibt es zahlreiche Verleihstationen, z. B. ab der Bolter Mühle → www.mueritzkanu.de

Besichtigen

Die Ausstellung im Müritzeum in Waren widmet sich der Flora und Fauna rund um die Müritz und zeigt in großen Aquarien die lokale Unterwasserwelt → www.mueritzeum.de

Infos zur Region: www.1000seen.de

Müritz - das kleine Meer in Mecklenburg-Vorpommern - Frau im Leben