Unter Kopfschmerzen leidet jeder dritte Erwachsene mindestens einmal im Monat, viele sogar deutlich häufiger. Besonders Frauen sind betroffen. Bei den einen sind es nur leichte Beschwerden, die schnell vergessen sind. Bei anderen ist der Schmerz jedoch so heftig, dass er die Lebensqualität stark beeinträchtigt.
Längst nicht alle Betroffenen bekommen die Hilfe, die sie brauchen: „Tagtäglich habe ich Patienten vor mir, die jahrelang keine klare Diagnose erhalten haben – und deshalb auch nicht richtig behandelt wurden“, sagt Prof. Dagny Holle-Lee, Neurologin und Leiterin des Kopfschmerzzentrums Essen. Dabei kann heute besser therapiert werden als je zuvor. Vorausgesetzt, man weiß genau, um welche Kopfschmerz-Art es sich handelt. Dies sind die häufigsten:
Migräne: Neue Medikamente machen Hoffnung
Sie zeigt sich als heftig pulsierender, oft auf eine Kopfseite begrenzter Schmerz, der 4 bis 72 Stunden anhält. „An einen normalen Alltag ist dann nicht zu denken“, stellt Prof. Holle-Lee fest. Die Ursache dieser neurologischen Erkrankung ist nicht komplett geklärt. „Die Veranlagung ist jedoch genetisch. Das Migräne-Gehirn nimmt Außenreize extrem intensiv wahr und verarbeitet sie sehr schnell.“ Das Nervensystem ist irgendwann überlastet und es kommt zu einer entzündlichen Reaktion an Blutgefäßen im Gehirn. Schätzungsweise 10 bis 15 Millionen Deutsche haben Migräne-Anfälle, Frauen sind dreimal häufiger betroffen als Männer. „Vermutlich ist die Dunkelziffer weitaus höher“, betont die renommierte Kopfschmerz-Expertin.
„Klassische Schmerzmittel wie Aspirin oder Paracetamol können leichte Attacken lindern“, erklärt Prof. Gudrun Goßrau, Leiterin der Kopfschmerz-Ambulanz am Uniklinikum Dresden. Bei schweren Attacken helfen spezielle Medikamente (Triptane). „Sie verhindern, dass entzündungsauslösende Eiweißstoffe aktiv werden“, sagt die Ärztin, die auch Sprecherin der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft ist. Schmerzmittel und Triptane dürfen an maximal zehn Tagen im Monat verabreicht werden, sonst kann ein zusätzlicher Kopfschmerz entstehen.
Hat man trotz Triptanen an vier oder mehr Tagen im Monat Migräne, kommen weitere Medikamente zum Einsatz. „Zur Vorbeugung werden auch Betablocker eingesetzt sowie Antidepressiva oder Anti-Epileptika“, erläutert Prof. Goßrau. Helfen auch sie nicht, kann der Arzt Antikörper verordnen, die einmal monatlich gespritzt werden. Sie wirken gegen ein bestimmtes Eiweiß, das die Migräne mit hervorruft. Vorbeugend wirkt auch Atogepant, das seit dem 1. März zugelassen ist. Es gehört zur neuen Wirkstoffklasse der Gepante, von denen weitere getestet werden. Gerade zeigte sich in einer US-Studie, dass der Wirkstoff Ubrogepant die Kopfschmerzen nicht nur lindert, sondern sogar verhindern kann, wenn er bei Vorboten wie Lichtempfindlichkeit oder Nackenschmerzen eingenommen wird. Ob und wann das Mittel auf den Markt kommt, ist noch unklar.
„Auch ein geregelter Tagesablauf mit vielen Pausen beugt Attacken vor“, so Prof. Goßrau, „dazu Entspannungsübungen und Ausdauersport, am besten dreimal pro Woche für 30 Minuten.“ Und ein Riech-Training kann nützlich sein: „In einer Studie konnten wir zeigen, dass Patienten weniger schmerzempfindlich sind, wenn sie regelmäßig einen Duft riechen, den sie mögen. Orangen- und Zitronenduft waren am beliebtesten.“
Spannungskopfschmerzen: Besser durch Bewegung
Sie werden als leichte, dumpfe und drückende Schmerzen im gesamten Kopf empfunden. Sie können nur 30 Minuten dauern, aber auch eine Woche. Fast jeder Mensch ist mindestens einmal im Leben davon betroffen. Die genaue Ursache ist bislang nicht geklärt. Meist treten die Beschwerden zum ersten Mal zwischen dem 25. und 30. Lebensjahr auf. „Es besteht vermutlich eine gewisse Veranlagung dazu“, erklärt Prof. Goßrau. „Auch ein verspannter Nacken kann den Kopfschmerz auslösen, ebenso eine Fehlbelastung der Muskulatur.“ Meist lassen sich die Schmerzen ohne Medikamente aushalten. Anders als bei Migräne bessern sie sich durch Bewegung, etwa bei einem Spaziergang an der frischen Luft. „Falls nicht, helfen oft klassische Schmerzmittel“, sagt die Neurologin.
Haben Patienten im Monat mehr als 15 Kopfschmerz-Tage, spricht man wie bei allen Kopfschmerz-Arten von einem chronischen Verlauf. „Und beeinträchtigt der Schmerz den Alltag, etwa weil er sehr häufig auftritt, ist es kein Spannungskopfschmerz“, unterstreicht Prof. Holle-Lee. Das gilt auch, wenn Übelkeit, Erbrechen oder ein starkes Ruhebedürfnis dazukommen. „Das ist wahrscheinlich dann Migräne“, stellt die Neurologin fest. Vorbeugen lässt sich Spannungskopfschmerz mit einem geregelten Tagesablauf, Entspannung und Sport.
Trigeminusneuralgie: Blitzartige Schmerzen im Gesicht
„Diese eher seltene Form des Kopfschmerzes tritt in der Regel zwischen 53 und 57 Jahren auf“, erläutert Prof. Goßrau. „Wer davon betroffen ist, erlebt heftige und oft mehrmals täglich wiederkehrende Schmerz-Attacken. Sie dauern nur wenige Sekunden oder bis zu zwei Minuten.“ Der elektrisierend einschießende Schmerz kann sich – meist einseitig – in der Wange sowie im Ober- und Unterkiefer bemerkbar machen.
Ursache ist ein Blutgefäß, das auf den sogenannten Trigeminusnerv im Kopf drückt. Auf Dauer kann dieser Kontakt die Schutzhülle des Nervs schädigen und so immer wieder Beschwerden auslösen. Medikamente können das verhindern. „Die Wirkstoffe Carbamazepin und Gabapentin senken die Schmerzempfindlichkeit des Nervs“, sagt Prof. Goßrau. Wirkt diese Prophylaxe nicht, können Ärzte mit einer OP den Abstand zwischen Gefäß und Nerv vergrößern.
Clusterkopfschmerz: Nicht mit Migräne verwechseln
„Das sind die stärksten Kopfschmerzen überhaupt“, betont Prof. Holle-Lee. Pro Tag sind mehrere Attacken möglich – auch in der Nacht. Der bohrende Schmerz hält zwischen 15 Minuten und drei Stunden an und ist auf eine Kopfseite beschränkt. Dort tränt auch das Auge, oft hängt außerdem das Lid leicht herunter.
Rund 80 000 Menschen sind in Deutschland davon betroffen. „Eine genetische Veranlagung spielt vermutlich auch hier eine Rolle“, bestätigt die Expertin. „Der Kopfschmerz tritt episodisch auf, das heißt, die Patienten haben über Wochen oder Monate Attacken. Anschließend können sie monate- bis jahrelang beschwerdefrei bleiben.“
„Vor allem bei Frauen wird dieser Kopfschmerz oft mit Migräne verwechselt“, berichtet Prof. Holle-Lee. Nicht selten vergehen viele Jahre, bis die Diagnose steht. Deshalb sollte man frühzeitig zu einem Neurologen mit Schwerpunkt Kopfschmerz gehen. Therapiert wird mit Sauerstoff, den die Betroffenen 10 bis 20 Minuten lang über eine Maske einatmen. Zusätzlich können – wie bei Migräne – Triptane zum Einsatz kommen, und zwar als Spritze. Schmerz-Episoden lassen sich mit der Einnahme von Kortison stoppen. Weitere Wirkstoffe wie Calcium-Antagonisten können den Attacken vorbeugen.
Das sagen Betroffene
Andrea Sommer (56) aus Wiggensbach im Allgäu: „Ich wurde lange nicht ernst genommen“
„Mit 15 Jahren hatte ich zum ersten Mal so brutale Kopfschmerzen, dass meine Eltern mich in die Notaufnahme brachten. Ernst genommen wurde ich dort nicht. Die Kopfschmerzen seien psychosomatisch, hieß es lapidar. Doch die Attacken kamen immer wieder. Mitten in der Nacht rissen sie mich aus dem Tiefschlaf. Mit Unmengen an Paracetamol versuchte ich, sie jedes Mal einzudämmen – vergeblich. Über die Jahre war ich bei unzähligen Ärzten, doch im Grunde gaben mir alle zu verstehen, dass ich eine Simulantin wäre. Als ein Zahnarzt sagte, die Schmerzen kämen vom Kiefer und die Zähne müssten raus, war ich so verzweifelt, dass ich zustimmte. Da war ich 31. Geholfen hat es nicht. Die Wende kam erst 2010, als ich bei einem Psychologen war. Er glaubte nicht an psychosomatische Gründe und überwies mich an eine Kopfschmerzklinik. Schon eine Woche später diagnostizierten die Ärzte einen Clusterkopfschmerz. Ich habe geweint, denn endlich hatten meine Schmerzen einen Namen. Seither behandle ich die Attacken mit Sauerstoff, und wenn das nicht hilft, mit Schmerzspritzen. Seit 2017 kommen die Attacken zwar fast täglich. Dennoch habe ich ein gutes Leben. Ich lass mich vom Cluster nicht kleinkriegen.“
Annika Sandré (65) aus Hamburg: „Jeden Monat habe ich bis zu 15 Tage Migräne“
„Jede Attacke ist anders. Manche schleichen sich langsam an, andere kommen von jetzt auf gleich. Innerhalb weniger Minuten bauen sich dann heftige Schmerzen auf. Dann muss ich mich sofort hinlegen, manchmal kommt Übelkeit dazu. Mal sitzen die Schmerzen links, mal rechts im Kopf. Seit meinem 16. Lebensjahr geht das so. Mit den Jahren sind die Anfälle häufiger und schlimmer geworden, ich habe bis zu 15 Migräne-Tage im Monat. Im Beruf musste ich deswegen kürzertreten. Übliche Schmerzmittel helfen schon lange nicht mehr, jetzt nehme ich Triptane. Um Attacken zu minimieren, hat meine Schmerztherapeutin einen Versuch mit CGRP-Antikörpern gestartet, die ich mir einmal im Monat spritzen musste. Nach einer Weile ließ die Wirkung leider nach. Ich achte immer darauf, wie oft ich Medikamente einnehme. Mehr als zehn Tage im Monat soll man nicht behandeln. Dann versuche ich die Schmerzen mit Eisbeuteln zu reduzieren. Und ich helfe mir mit einem Gerät, das an der Stirn Stromreize auslöst. Dies kann die Attacken zumindest etwas abmildern.“

