Maria Schrader feierte in den vergangenen Jahren als Regisseurin große Erfolge, zuletzt mit der Netflix-Miniserie „Unorthodox“ und dem futuristischen Film „Ich bin dein Mensch“. Nun hat sie in „She said“ die Aufdeckung des Missbrauchs-Skandals um Harvey Weinstein verfilmt.
Über Jahrzehnte missbrauchte der Hollywood-Produzent Harvey Weinstein Frauen sexuell. Dann rollten die Journalistinnen Jodi Kantor und Megan Twohey von der New York Times den Fall auf. Die Arbeit der Frauen löste die weltweite #MeToo-Debatte über sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch aus. Regisseurin Maria Schrader erzählt in „She said“ die Ereignisse aus der Perspektive der beiden Investigativ-Journalistinnen. Der Film ist Schraders erste Regiearbeit in Hollywood, teils wurde in den echten Redaktionsräumen in New York gedreht. In den Hauptrollen sind Zoe Kazan und Carey Mulligan zu sehen. „She said“ läuft jetzt in den Kinos.
Unser Autor Rüdiger Sturm hat Maria Schrader aus Anlass ihrer letzten Film-Premiere zum Gespräch getroffen. Was Sie im Interview über ihre Wünsche und das Gefühl, glücklich zu sein, verrät:
Algorithmen können unsere Wünsche beim Surfen im Internet erstaunlich genau erraten. Erschreckt Sie das?
Schrader: Ich versuche, mich davon fernzuhalten. Ich bin nicht aktiv in sozialen Medien, habe bisher keine Dating-App benutzt und hole mein Essen, wenn ich es nicht selbst koche, zumindest selbst ab. Es irritiert mich, wenn in meinem Computer Werbung aufpoppt, weil ich irgendwann mal nach einem ähnlichen Produkt gesucht habe und diese Information für immer gespeichert bleibt. Auch mein Handy ist relativ frei von Apps.
Welche Apps möchten Sie trotzdem nicht missen?
Musik-Erkennungsprogramme. Außerdem will ich Bahntickets online buchen und Banksachen digital erledigen können. Ich benutze auch WhatsApp. Aber das war’s schon ziemlich. Na ja, Zeitungen habe ich als Apps, Wetterbericht, Mietautos. Ich mache mich gezielt auf die Suche nach Dingen, die mich interessieren. Ich lese auch Zeitung eigentlich lieber auf Papier. Ziemlich old school, ich weiß.
Fürchten Sie, dass jüngere Menschen, für die Online-Dienste selbstverständlich sind, den Bezug zur Realität verlieren?
Ich bin zumindest glücklich darüber, dass meine Tochter erst mit 14 ein Telefon hatte, und das war kein Smartphone. Es kommt mir wichtig vor, die Präsenz der digitalen Welt, den permanenten Zugriff, als eine Option zu verstehen, von der man pausieren kann, ohne Entzugserscheinungen zu bekommen. Wenn ich sehe, wie Kleinkinder schon Tablets bedienen, bevor sie laufen können, wird mir ein bisschen schummrig. Gerade durch die Pandemie konnten Kinder und Jugendliche viel weniger leibhaftige Erfahrungen machen. Ich finde das hart. Menschen wie ich, die schon viel länger leben, können solche Situationen leichter als Ausnahmezustand wahrnehmen.
Welche Wünsche sind bei Ihnen offen, für die es keine technische Hilfe gibt?
Ich würde gern wie der Roboter Tom im Film „Ich bin dein Mensch“ alle Sprachen sprechen können. Ich würde mir gern wie Tom Bücher und Informationen schneller draufschaffen können als mit dem langsamen Lesen. Und sie besser im Gedächtnis behalten. Der Moment im Märchen, wenn die Fee drei Wünsche erfüllt, versetzt mich aber eigentlich in Stress. Ich lasse mich eher treiben und habe Schwierigkeiten mit genau definierten Plänen und Zielen. Auch beim Reisen mag ich das Unterwegssein lieber als das Ankommen.
In Ihrem Film „Ich bin dein Mensch“ stellen Sie die Frage: „Was hindert uns daran, glücklich zu sein?“ – Was gehört für Sie zum Glück?
Dass man es zumindest bemerkt. Und nicht erst im Nachhinein. Es gibt diese Momente, die wir nicht erwarten und die oft auch genauso schnell wieder vorbeigehen. Dann möchte man nur, dass die Zeit anhält, was sie natürlich nicht tut, aber es kann einem so vorkommen.
Könnten Sie uns dafür ein Beispiel geben?
Das kann alles Mögliche sein. Das kann die Sonne am Morgen sein oder frische Luft, wenn man das Fenster aufmacht und ein Tag vor einem liegt. Wenn man sich so fühlt, als könnte man loslaufen, ohne aus der Puste zu kommen. Oder wenn man sich plötzlich umsieht und denkt: Es gibt gerade keinen Ort, an dem ich lieber wäre. Keinen anderen Menschen will ich neben mir haben als diesen, mit nichts anderem möchte ich mich lieber beschäftigen als mit genau dem, was ich gerade tue oder sehe oder höre. Das ist in meinen Augen Glück.
Wann haben Sie dieses Gefühl?
Ich glaube, ich habe ein Talent, solche Momente zu bemerken und zu genießen. Das kann sowohl in der Aktivität wie in der Passivität passieren. Das kann ein Satz am Telefon sein oder auch eine zufällige Begegnung mit jemand Fremdem, eine Art Geschenk, das man bekommt, das Gefühl, auf eine gute Art mit der Welt in Verbindung zu stehen. Solche Momente des Glücks gibt es auch bei der Arbeit. Wenn aus einer Szene, die ich mir ausgedacht habe, ein Stück Film wird, das mir gefällt. Das ist ein wirklich schönes Gefühl. Es passiert aber auch im Theater oder im Kino, dass ich in eine Geschichte wirklich eintauchen kann und alles andere darüber vergesse.
Bei welchem Film haben Sie das zuletzt erlebt?
Bei „Der Rausch“ von Thomas Vinterberg. Es ist eine dänische Tragikomödie über vier Lehrer, die versuchen, ihre Lebenskrisen mit systematischem Trinken in den Griff zu kriegen. Am Anfang dachte ich „Was soll das?“. Doch dann hat mich diese Mischung aus Selbstzerstörung, Trauer und Lebenshunger mit unvorhergesehener Wucht erwischt und wurde zu einem bleibenden Erlebnis.
Welche Geschichten wollen Sie selbst erzählen?
Schrader Geschichten sind Ausflüge in das Innenleben anderer Leute und im besten Fall eine Bereicherung an Gedanken, Bildern, Perspektiven und Gefühlen. Als Filmemacherin möchte ich so etwas auch bieten und interessiere mich mehr für die Geschichten, die Menschen miteinander verbinden – statt die Angst voreinander zu schüren.
Maria Schrader – Stationen ihres Lebens
Geboren am 27. September 1965 in Hannover • Schauspielausbildung in Wien • 1989 erste Filmrolle in „RobbyKallePaul“ (Regie führte ihr damaliger Lebensgefährte Dani Levy) • 1998 Co-Autorin von „Meschugge“ • Für ihre Rolle in „Aimée & Jaguar“ erhielt sie 1999 auf der Berlinale den Silbernen Bären • 2007 Regiedebüt mit „Liebesleben“ • Von 2015 – 2020 spielte sie in der hochgelobten RTL-Serie „Deutschland ’83“, „Deutschland ’86“, „Deutschland ’89“ • Sie erhielt 2020 als erste Deutsche einen Emmy für die Regie der Serie „Unorthodox“ über eine Jüdin, die ihre strenggläubige New Yorker Gemeinde verlässt • 8. Dezember 2022: Kinostart von „She said“ • Maria Schrader lebt in Berlin und hat eine erwachsene Tochter
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