Ein Wunderkind wird 60! Seit Jahrzehnten gehört Anne-Sophie Mutter zu den größten Stars der klassischen Musik. Im Interview erzählt die Geigerin, was ihr Kraft gibt und warum Tennisspieler Roger Federer für sie ein Vorbild ist
Rüdiger Sturm
Mit gerade mal 13 Jahren wurde Anne-Sophie Mutter vom Dirigenten Herbert von Karajan entdeckt. Danach folgt eine beispiellose Karriere, die sie als Solistin auf alle großen Bühnen der Welt führt. Heute unterstützt die Star-Geigerin selbst junge Talente. Sie gibt Benefiz-Konzerte, um Flüchtlingen zu helfen, engagiert sich als Präsidentin der Deutschen Krebshilfe – und ist dabei ein ausgesprochen normaler, nahbarer Mensch geblieben.
Die stolze Besitzerin zweier Stradivari-Geigen hat schlimme Schicksalsschläge gemeistert und dabei nie aus den Augen verloren, was für sie wirklich wichtig ist – andere Menschen und die Natur. „Wenn Sie mich kennenlernen wollen, müssen Sie mich auf der Bühne erleben“, sagt sie normalerweise, wenn man ihr eine private Frage stellt. Dieses Interview gibt sie in Begleitung ihres Dackels Bonnie im Berliner Hotel de Rome. Anlass ist die Premiere des Kinofilms „Vivace“, der ihr Leben dokumentiert.
Mit 14 Jahren standen Sie mit Herbert von Karajan auf der Bühne. Zum „wahren Menschen geworden“ sind Sie – so erzählen Sie das im Film – mit 32, als 1995 Ihr Mann an Krebs starb
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MUTTER: Der Satz ist wie vieles, was ich sage, ein wenig überspitzt. Aber ich habe durch den Tod die Dringlichkeit des Lebens noch einmal viel stärker wahrgenommen. Nachdem ich Witwe geworden bin, habe ich meine Stiftung für junge Künstler gegründet. Mein Gefühl für das, was andere Menschen brauchen, wo ich helfen kann, hat sich durch diese Lebenskrise geschärft.
Was gibt Ihnen Kraft – außer Musik?
Meine Kinder, meine Familie, meine Freunde. Menschliche Beziehungen stehen für mich an erster Stelle. Und ich liebe die Natur. Ich habe Bäume umarmt, lange bevor es alle taten. Ich bin am Rand des Schwarzwalds aufgewachsen und als Kind viel mit meinen beiden älteren Brüdern in den Wald gegangen. Wir sind über Wiesen getobt, haben gespielt und Abenteuer erlebt, ein bisschen wie bei „Heidi“. Ich will nicht immer mitten in der Natur leben, aber es ist sehr schön, regelmäßig dahin zurückzukehren.
Was ist das Wichtigste, was Sie als Musikerin geleistet haben?
Ich finde es sinnstiftend, ein neues Repertoire zu hinterlassen. Kompositionen in Auftrag zu geben, die Musik zu erneuern, damit auch die nächste Generation spannende Aufgaben hat. Alles andere ist vergänglich.
Gibt es eine CD, auf die Sie heute besonders stolz sind?
Musiker fühlen sich mit Einspielungen oft wie Schmetterlinge, die mit Nadeln an die Wand gepinnt sind. Auch wenn viele Aufnahmen genau deshalb ein Geschenk sind, weil sie Momente festhalten, die besonders schön waren, wie Martha Argerichs Einspielungen der Klavierkonzerte von Schumann. Mich fasziniert aber auch zeitgenössische Musik. Gerade habe ich mit John Williams ein aktuelles Filmthema aufgenommen, das er für mich umgeschrieben hat. Das ist natürlich megaaufregend. Überhaupt, mit Komponisten zu arbeiten wird mich bis zur letzten Sekunde fesseln. Und sollte ich noch mal die Möglichkeit bekommen, mit Martha Argerich zu musizieren, würde mich das sehr glücklich machen. Ich freue mich einfach auf alles, was das Leben bereithält.
Im Dokumentarfilm „Vivace“ sprechen Sie es an: Als Musikerin sind Sie auf die Leistungsfähigkeit Ihres Körpers angewiesen. Die abnimmt, wenn wir älter werden…
Ich trage es mit Fassung und tue so viel wie möglich, um fit zu bleiben. Ich ernähre mich gesund, gehe wandern, joggen oder ins Fitnessstudio. Wenn der Moment kommt, an dem ich als Musikerin abtreten muss, hoffe ich, dass mir das so gut gelingt wie dem Tennisspieler Roger Federer. Der heulte Rotz und Wasser, als er 2022 in London beim Laver Cup sein letztes Spiel absolvierte, und ich gleich mit – ich saß nämlich mit meinem Sohn im Publikum. Wenn es bei mir so weit ist, werde ich mich an mein Vorbild halten und wie Roger am Handy einen coolen Post abschicken: Job verloren, Turnier verloren, aber mir geht’s prima.
Kann man als Musikerin denn überhaupt verlieren?
Das Schöne an der Musik ist, dass es ums Miteinander geht. Keiner muss den anderen besiegen. Das hat mir an Roger Federer immer gut gefallen: Ich hatte nie den Eindruck, dass er seinen Spielpartner zerstören will. Natürlich hat er sich gefreut, wenn er ein gutes Spiel gemacht und gewonnen hat, aber er ist dabei immer fair geblieben. Ich teile mein Leben nicht in Gewinnen und Verlieren ein. Ich gebe mein Bestes. Das ist dann manchmal richtig gut und manchmal eben auch nicht.
Wird man nicht automatisch eitel, wenn man wie Sie auf der Bühne immer bejubelt wird?
Das erledigt sich, wenn man Kinder hat. Richard und Arabella haben es mir immer offen gesagt, wenn ich Blödsinn erzählt habe.
Hat es Ihre Kinder genervt, eine so prominente Mutter zu haben?
Ich glaube, nicht. Meine Kinder sind ziemlich privat aufgewachsen. Vom Licht der Öffentlichkeit haben sie nicht viel mitbekommen. Dass sie einen anderen Nachnamen haben, war da bestimmt hilfreich. Der gab und gibt ihnen die Möglichkeit, ein normales, unbeobachtetes Leben zu führen. Dass ich Geige spiele, ist für sie einfach mein Beruf. Meine Kinder lieben klassische Musik, aber erst seit ich viel mit John Williams, dem Komponisten der Filmmusik von „Star Wars“ und „Harry Potter“, zusammenarbeite und ihn künstlerisch näher kenne, bin ich für meine Kinder megacool. Und auch wenn Kunst eine wichtige Rolle in ihrem Leben spielt – Arabella arbeitet inzwischen beim Film –, finde ich es viel wichtiger, dass Kinder die Leidenschaft ihrer Eltern mitbekommen. Ganz gleich, ob das der Gartenbau, die Liebe zur Literatur, zum Kochen, zu gutem Essen oder zur Musik ist.
Und wie kriegen Eltern das hin?
Indem wir den Blickwinkel auf das erweitern, was zum Menschsein gehört. Man muss Kunst, Literatur und Musik wieder stärker in den Fokus rücken. Ein gutes Buch oder ein Lied, der Besuch einer Ausstellung: All das bereichert unser Leben, ist Nahrung für die Seele. Wir müssen uns auf unsere Emotionalität und unsere Seele besinnen, weil sie uns als Menschen ausmacht – stärker denn je.
Am 29. Juni feiern Sie 60. Geburtstag. Fürchten Sie sich davor?
Ich finde Geburtstage großartig, jeden einzelnen. Ich werde mit meinen beiden Kindern und Freunden verreisen und bis zum Umfallen feiern. So wie jedes Jahr.
Verstehen Sie das Leben heute besser als früher?
Keine Ahnung. Wie eine Partitur lässt es sich jedenfalls nicht studieren. Die liegt da und wartet darauf, dass man sie liest wie einen Monolog. Ein gutes Leben dagegen ist ein Dialog, sonst funktioniert es nicht.
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