Ob Medikament oder Therapie: Frauen und Männer reagieren anders darauf, wie Wissenschaftler und Ärzte mittlerweile wissen. Gendermediziner fordern daher eine geschlechterspezifische Behandlung. Was dabei zu beachten ist.
Gendermedizin – warum braucht es das?
Gendermedizin heißt der Bereich im Gesundheitswesen, den es erst seit ein paar Jahren gibt. Er will passgenaue Therapien für Frauen und Männer finden. Prof. Vera Regitz-Zagrosek gilt als Pionierin der Gendermedizin und leitet das Institut für Geschlechterforschung in der Medizin an der Berliner Charité – bundesweit das bislang einzige seiner Art.
„Die meisten Ärzte wissen nicht, dass Frauen und Männer andersartige Symptome zeigen“, bedauert die Expertin.
Dabei beeinflussen Hormone wie Östrogen und Testosteron den gesamten Organismus, vom Herzkreislauf-System, über den Stoffwechsel, bis hin zum Immunsystem – aber eben auf unterschiedliche Art. Vernachlässigt man dies bei der Diagnose und Therapie einer Krankheit, aber auch der Einnahme von Medikamenten, kann es zu schwerwiegenden, ja sogar tödlichen Folgen kommen – vor allem für Frauen.
Frauen zeigen andere Symptome beim Herzinfarkt
Eindrucksvolles Beispiel sind Erkrankungen am Herzen, allen voran der Infarkt: Die vermeintlich typischen Symptome wie Engegefühl und Schmerzen in der Brust, die in den linken Arm ausstrahlen können, haben tatsächlich meist Männer. Jede fünfte Frau zeigt ganz andere Symptome:
- Schmerzen im Oberbauch oder am Rücken, ggf. sogar im Kiefer
- Kurzatmigkeit
- Müdigkeit
Die Folge: Herzinfarkte bei Frauen werden daher oft nicht oder erst spät festgestellt.
Achtung bei Frühformen von Diabetes
Doch nicht nur ein Herzinfarkt, auch Diabetes wird bei Frauen mitunter gar nicht entdeckt beziehungsweise später als bei Männern, weil meist nur der Nüchtern-Blutzuckerwert gemessen wird. Bei Männern ist dieser auch aussagekräftig, bei Frauen kann sich aber bereits ein Diabetes entwickelt haben, obwohl der Wert vermeintlich passt. Der Grund: Bei Frühformen von Diabetes ist der Nüchtern-Zuckerwert bei Frauen häufig normal. Nur ein sogenannter Glukose-Belastungstest, für den man eine bestimmte Menge Traubenzucker zu sich nehmen muss, liefert eine sichere Diagnose.
„Beim jährlichen Gesundheits-Check sollten Frauen ihren Arzt deshalb gezielt darauf ansprechen“, rät Gender-Medizinerin Prof. Vera Regitz-Zagrosek.
Denn ein Diabetes kann bei Frauen das Risiko für Herzerkrankungen um das Vier- bis Sechsfache erhöhen; bei Männern verdoppelt es sich nur.
Medikamente können bei Frauen anders wirken als bei Männern
Doch nicht nur die Symptome vieler Krankheiten äußern sich bei Männern und Frauen unterschiedlich, auch Medikamente können anders wirken. Bis Ende der 90er-Jahre wusste man dies nicht, weil Arzneimittel-Studien in der Regel ausschließlich an Männern getestet wurden. Hormonelle Schwankungen wie Wechseljahre oder Schwangerschaften ließen die Wissenschaftler einfach außer Acht.
Die gute Nachricht: Mittlerweile sind deutsche und europäische Pharmafirmen gesetzlich gefordert, Wirkstoffe auch an Frauen zu testen. Doch erst seit 2021 stellt eine entsprechende EU-Verordnung das auch sicher. Immerhin: Die 30 größten Wissenschafts-Zeitschriften weltweit haben sich dazu bereit erklärt, nur noch Studien zu veröffentlichen, wenn Frauen und Männer gleichermaßen unter den Teilnehmern sind. Prof. Vera Regitz-Zagrosek wünscht sich außerdem, dass das Thema auch in der Fort- und Weiterbildung der Mediziner künftig mehr Raum einnimmt – zum Wohl beider Geschlechter.
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