Ingwer ist der neue Star in der Küche: Er verleiht dem Essen eine fruchtig-scharfe Note und ist zudem sehr gesund. Experten erklären, welche Heilkräfte er besitzt und wie Sie ihn beim Kochen am besten verwenden

Andrea Schmidt-Forth

Der Siegeszug des Ingwers ist nicht aufzuhalten. In fast jeder TV-Show werden die Vorzüge der „tollen Knolle“ gepriesen. Und immer mehr Menschen kochen mit Ingwer ihren Tee oder aromatisieren Wasser. Einige knabbern sogar an der rohen Wurzel. Immer mit der Hoffnung, dass die aus Südostasien stammende Pflanze vor Erkältungen schützt und die Gesundheit stärkt. Bereits 2018 war der Ingwer (lat. „Zingiber officinale“) die Heilpflanze des Jahres.

Aber besitzt Ingwer wirklich Wunderkräfte? Pharmazeut Dr. Bruno Frank aus Retzstadt bei Würzburg sagt, dass „Ingwer ein wertvolles und ernst zu nehmendes Lebensmittel mit gesundheitlichen Wirkungen ist. In Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es Ingwer-Produkte mit Arzneimittel-Status“. Dr. Bruno Frank ist Phytotherapeut und befasst sich als solcher seit Jahrzehnten intensiv mit der Wirkung von Heilpflanzen. Die Phytotherapie, betont der Experte, sei keine Alternativ-, sondern eine naturwissenschaftliche Schulmedizin.

Besonders wirksam gegen Übelkeit

Ingwer enthält viele Wirkstoffe, die ihn so gesund machen: Neben ätherischem Öl sind das die Scharfstoffe Gingerol und Shogaol sowie Curcuminoide. Bislang am besten erforscht und belegt ist der brechreizhemmende Effekt der Wurzel. Woran das liegt? Die Scharfstoffe wirken auf die Serotonin-Rezeptoren im Körper. Solche Andockstellen finden sich unter anderem in der Magenschleimhaut. Werden sie von Gingerolen besetzt und blockiert, hilft das gegen Übelkeit, etwa auf Reisen, nach Operationen oder auch im Zusammenspiel mit anderen Arzneien – wenn etwa Tumorpatienten während einer Chemotherapie an Übelkeit und Erbrechen leiden.

Unterstützung für Magen, Darm & Gefäße

Zudem wirkt Ingwer bei Appetitlosigkeit, Blähungen und Magenkrämpfen. Er kurbelt die Magensaftproduktion an, unterstützt die Darmtätigkeit und Fettverdauung. Außerdem kann er Migräne, Rheuma sowie Menstruations- und Muskelbeschwerden lindern. Auch bei Erkältung und Grippe schwören viele Menschen auf Ingwer, etwa in Form von Shots, weil er die Durchblutung und Stimulierung der körpereigenen Abwehrkräfte fördert. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Hinweise darauf, dass er die Behandlung von Bluthochdruck sowie von Gefäß-Erkran­kungen an Herz, Beinen und Armen unterstützen kann.

Als Arzneimittel ist Ingwer in Form von Tabletten, Kapseln, als Press-Saft oder alkoholischer Auszug in Apotheken oder Reformhäusern erhältlich. Ob und inwieweit Ingwer gesundheitliche Wirkungen entfaltet, hängt laut Dr. Frank davon ab, wie er verwendet wird – in welcher Qualität, Zubereitung, Dosierung und Häufigkeit. „Ein Ingwer-Tee ist bei Erkältung besser als eine Kapsel mit Extrakt. Kapsel oder Pulver sind hingegen gut, um Reisekrankheit vorzubeugen. Und ein Tee wirkt bei Verdauungsproblemen schnell.“

Vorsicht, Wechselwirkung!

Von Ingwer als Gewürz darf man sich aufgrund der meist geringeren Dosierung nicht dieselbe Wirkstärke versprechen wie bei einer Kapsel oder einem starken Tee, betont der Experte. Zumal die Wirkstoffkonzentration auch von Sorte, Anbau-Ort und Erntezeitpunkt abhängt. Heutzutage wird Ingwer, der ursprünglich aus Südostasien stammt, in vielen Ländern angebaut. Sogar in Bayern wird er geerntet. Rund 60 Prozent des Imports, nämlich 12 000 Tonnen, kommen aus China. „Auf Bio-Qualität hat sich Peru spezialisiert“, erklärt Sabine Hülsmann, Fachberaterin für Lebensmittel und Ernährung bei der Verbraucherzentrale Bayern.
Im Gemüsefach des Kühlschranks hält sich die frische Knolle mehrere Wochen lang. Doch Vorsicht: je älter und trockener, umso schärfer wird sie. Wer Probleme mit Sodbrennen oder eine akute bzw. chronische Gastritis hat, sollte Ingwer lieber links liegen lassen. Ingwer steht außerdem im Verdacht, mit bestimmten Medikamenten in Wechselwirkung zu treten. Patienten, die Mittel zur Blutverdünnung einnehmen, sollten deshalb mit Ingwer sparsam umgehen oder ganz darauf verzichten.

Ernährungsberaterin Sabine Hülsmann warnt zudem vor vollmundigen Heilsversprechen: So beteuerte zu Beginn der Corona-Pandemie ein Hersteller von Nahrungsergänzungsmitteln, Ingwer würde die Vermehrung des Corona-Virus im Körper „sofort hemmen“. Mit dieser Falsch-Behauptung sollte ein kombiniertes „Immunpaket“ aus Ingwer, Mineralstoffen und Vitaminen verkauft werden. Die Verbraucherzentrale reagierte umgehend und mahnte das Unternehmen erfolgreich ab. „Werbeaussagen wie diese sind rechtswidrig“, betont Sabine Hülsmann, „Lebensmittel dürfen nicht mit heilender oder krankheitsbezogener Wirkung beworben werden.“ Die Ernährungswissenschaftlerin rät: Menschen, die Ingwer mögen und gut vertragen, sollten einfach die frischen Knollen als Tee zubereiten oder Speisen damit würzen.

Im Aperitif, als Chutney, im Dessert

In der Küche wurde Ingwer schon im Mittelalter wie Pfeffer als Scharfmacher eingesetzt. Danach ist die Wurzel lange in Vergessenheit geraten. Erst mit der asiatischen Küche wurde der Ingwer wiederentdeckt. Zum Glück: Denn das Fruchtfleisch verströmt ein herrliches Aroma, wenn man es frisch hackt oder reibt. So mag es Gastronom Ralf Hiener auch am liebsten. „Fruchtig frisch und mit einer leichten Schärfe im Abgang verleiht der Ingwer vielen Gerichten einen besonderen Kick“, schwärmt der Inhaber des Restaurants „Raskolnikoff“ in Dresden. Ingwer passt zu vielen Gerichten und anderen Gewürzen wie Knoblauch, Zitronengras, Basilikum und Chili. Ralf Hieners Palette reicht vom Aperitif über Pesto, Pickles und Chutneys bis hin zu Suppen, Gemüse und Fleischgerichten. Außerdem verwendet er Ingwer in Drinks, Marmeladen und Desserts. Auch Fisch kombiniert er mit Ingwer, bei Ceviche zum Beispiel, einem peruanischen Gericht mit roh in Limettensaft mariniertem Fisch. Hiener gibt in die Marinade Ingwerstückchen und verfeinert das Gericht mit Traubenkernöl und Wassermelone. Dazu wird ein Glas Riesling kredenzt.

Die Dosis langsam steigern

Bei aller Experimentierfreude: Übertreiben sollte man es mit diesem Gewürz nicht, sonst übertönt es die anderen Komponenten. Also erst mal vorsichtig dosieren, dann die Menge steigern. Und natürlich gibt es Gerichte, in denen der Ingwer nichts zu suchen hat, Rotkohl beispielsweise.
Für Hobbyköche, die noch keine Erfahrung mit Ingwer haben und sich dem Thema vorsichtig annähern wollen, hat Restaurantchef Ralf Hiener eine Salatsauce kreiert: etwas Ingwer-Direktsaft mit Öl, Salz und Pfeffer mischen – das macht gewöhnlichen Kopfsalat zu etwas Besonderem und den ein oder anderen Ingwer-Novizen zu einem dauerhaften Fan.

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